2006-04-30

neulich in Bielefeld: Nachtansichten 2006

Siehe auch meinen Bericht zu den Nachtansichten 2007! Diesen Samstag fanden erneut die Nachtansichten in Bielefeld statt, und nachdem mir letztes Jahr die Idee recht gut gefallen hatte, sich in einer Nacht durch die lokale Kultur zappen zu können, wollte ich mir das dieses mal natürlich nicht entgehen lassen. Auch von dem deutlichen schlechteren Wetter und der kurzfristigen Absage meiner Begleitung lies ich mich nicht abschrecken... Los ging es im Historischen Museum. Die zwar recht überschaubare, aber dennoch sehr interessante Ausstellung "Burgen - Geheimgänge - Zauberei" erklärt, wie die Menschen, seitdem sie sesshaft geworden sind, ihre Wohnungen und ihr Hab und Gut zu schützen versuchen (der Titel der Ausstellung ist also nicht ganz passend). Das betrifft einerseits Türen, Schlösser, Geheimfächer und Tresore, andererseits aber auch Hausgeister und ihre Besänftigung und anderen (Aber-)Glauben. Abgerundet wird das ganze durch Informationen der örtlichen Polizei, wie man seine eigene Wohnung schützen kann. In dem Kontext vermisst habe ich natürlich jegliche Information zum Entsperren von Schlössern. Eine entsprechende Vorführung würde sicherlich auch so manchen Zuschauer erst erstaunen und dann erschrecken. Auf den folgenden Stationen wurde mir klar, was ich immer schon geahnt habe: Mir fehlt einfach der Bezug zur bildenden Kunst. Im Lichtwerk neben dem Historischen Museum war eine kleine Ausstellung, und (nach einer Fahrt mit dem Nachtansichten-Shuttle) war ich kurz beim WDR, um mir die Ausstellung "ModeMachtMenschen" anzusehen. Den Titel fand ich deswegen recht spannend, weil ich an meinem neuen Arbeitsplatz natürlich auch die Aufteilung der Menschheit in zwei Gruppen beobachten kann: Solche, die sich die Sauerstoffzufuhr mit Hilfe von bunten Tüchern abschneiden, und solche, die das bleiben lassen. Einen Diskurs zu diesem Thema hätte ich ausgesprochen spannend gefunden. Stattdessen waren Arbeiten des Bereichs Gestaltung/Mode der FH Bielefeld ausgestellt (die sicherlich nicht schlecht waren, meiner Meinung nach aber nur bedingt einen Bezug zum Titel der Ausstellung hatten), und Werbeplakate aus den letzten Jahrzehnten, über die man heute schmunzeln kann. Irgendwie sprach mich das nicht wirklich an. Also weiter ging es, zu Fuß die Kreuzstraße entlang, kurz in der Neustädter Marienkirche vorbeigeschaut, und in's Naturkundemuseum. Auch hier fand ich die Ausstellung im oberen Stockwerk eher ernüchternd: Ein Labyrinth aus von der Decke hängenden Leinenbahnen, mit Rätseltexten, deren Lösung verschiedene Naturprodukte (Getreidekörner, Wachs, usw.) waren, die man dann in dazugehängten Beuteln ertasten konnte. Das war auch wieder mehr Kunst als Information, und außerdem für einen größeren Publikumsauflauf völlig ungeeignet. Das war also alles noch nicht wirklich prickelnd. Eigentlich wollte ich auch nur die Zeit überbrücken zum ersten festen Termin, den ich mir vorgenommen hatte: Um 20 Uhr sollte die Big-Band der Universität Bielefeld im Bunker Ulmenwall spielen. Wegen Uni-Band war wohl 20 Uhr c.t. gemeint, und dank "Bielefelder c.t." ging es dann auch erst um etwa 20:20 Uhr los. Bei der etwas längeren Wartezeit wurde mir auch wieder klar, warum ich Kneipen und ähnliche Menschenaufläufe nicht mag. Wann wird Deutschland in den Kreis der zivilisierten Länder aufgenommen, und ein Rauchverbot an solchen Orten eingeführt? Wie dem auch sei, das Konzert begann mit der Warnung, dass die Lokalität klein, die Decke niedrig und die Band relativ groß (ca. 20 Musiker) sei. Man werde versuchen, sich zurückzunehmen, aber es könne schon mal etwas lauter werden. Na gut, so lange die Musik dazu passt, soll mir das recht sein. Und in der Hinsicht wurde ich wirklich nicht enttäuscht. Seit meiner Schulzeit finde ich Big-Band-Musik richtig gut, vor allem wenn man merkt, dass da keine Profis spielen, sondern Hobby-Musiker, die das aus Spaß an der Freude machen. Da darf ein Solo auch schon mal etwas schräg klingen, oder der Einsatz verpatzt werden. Egal, Hauptsache die Stimmung ist super. Nach der ersten Hälfte des Konzerts, und nachdem ich mich aus der Enge des Bunkers gewunden hatte, ging es in Richtung des zweiten festen Termins. Wie schon im letzten Jahr wurde in der Altstädter Nicolaikirche indische Musik dargeboten (wieder von den Herren Ammermann/Sitar und Gründling/Tabla). Und wie schon im letzten Jahr das gleiche Spiel: Leute kommen mitten im Konzert, setzen sich geräuschvoll hin, hören zwei Minuten zu, und gehen wieder, weil ihrer Meinung nach nichts passiert. Ich glaube, ausser mir haben vielleicht ein Dutzend weiterer Zuhörer die komplette Stunde "durchgehalten". Im Anschluß habe ich mir noch die Fotoausstellung von Igor Kostin zum Thema Tschernobyl angesehen. Auf den Bildern war die Arbeit der Liquidatoren zu sehen (ohne die sich vermutlich noch viel mehr radioaktives Material über Europa verteilt hätte), und das Leben der Leute, die die Region um den Reaktor nicht verlassen wollten oder konnten. Diese Fotos haben mich sehr bewegt, vielleicht weil sie eben die Realität zeigten, und keine Kunst (im Sinne von "künstlich") waren. Die nächste Station war der der Alte Markt, wo das Duo "Lauschgold" (E. Huber/Harfe und M. Eisenreich/Violine) der Kälte trotzte. Wer immer auf die Idee kam, zwei Saiten-Instrumentalistinnen im April in Bielefeld auf einer offenen Bühne zu präsentieren, sollte dort zur Strafe eine Woche im Zelt campieren. Auch die aufgestellte Gaslampe dürfte die Temperatur nur wenig angenehmer gemacht haben. Die beiden nahmen es mit bairischem Humor und brachten irischen Folk, jiddischen Klezmer und amerikanischen Swing, dass man die Kälte bald vergessen hatte. Der letzte Abstecher auf dem Weg nach Hause war dann die Süsterkirche. Das war im letzten Jahr für mich der absolute Geheimtipp. Dieses Jahr war die Musikauswahl allerdings etwas konservativer, und ich habe mir nur eine Gruppe angehört. "Ellijora und Freunde", ein achtköpfiger gemischter Chor, sang u.a. zwei Stücke von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Das ist zwar nicht unbedingt mein Musik-Stil, aber es passte einfach, um den Abend ausklingen zu lassen. Nach einem etwas holprigen Start haben sich die Nachtansichten wieder einmal richtig gelohnt. Ich bin schon gespannt auf das nächste Jahr, dann zur Abwechslung vielleicht mal wieder mit trockenem Wetter und Temperaturen um die 20 Grad.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Schönen Dank für Ihre Beschreibung und das positive Statement zur Sitarmusik in der Nicolaikirche- Wenn man mit dem Instruement vorn sitzt, kriegt man nicht so richtig mit, wie das Publikum reagiert.
Norbert Ammermann